Grüne Zahnmedizin: Nachhaltige Materialien und Bio-Prophylaxe

In Zeiten des Klimawandels muss auch die Zahnarztpraxis einen Beitrag leisten. Dieser Artikel beleuchtet nachhaltige Materialalternativen in der Praxis sowie häusliche Pflegeprodukte und innovative Ansätze zur Bio-Prophylaxe.

Nachhaltigkeit als Praxisphilosophie

© sissoupitch – canva.com

Nachhaltigkeit sollte nicht nur ein Schlagwort sein, sondern vielmehr eine grundlegende Philosophie, die die gesamte Praxis durchdringt. Dies erfordert allerdings eine ganzheitliche Herangehensweise, die über die reine Verwendung einzelner umweltfreundlicher Produkte hinausgeht. Das gesamte Team sollte in den Veränderungsprozess einbezogen werden, um gemeinsam nachhaltige Lösungen zu finden. Idealerweise erfolgt die Umstellung auf nachhaltige Praktiken schrittweise. Denn eine plötzliche, radikale Veränderung kann sowohl das Team im gewohnten Behandlungsablauf als auch die Patienten überfordern und zu einer geringeren Akzeptanz der neuen Methoden und Materialien führen. Für die Erstellung eines Nachhaltigkeitskonzepts eignen sich vorgefertigte Checklisten oder Onlineschulungen, die am besten mit dem ganzen Team bei Praxisbesprechungen erörtert werden.

Nachhaltige Materialien

Die Nutzung wiederverwendbarer Instrumente, die sterilisiert und mehrfach eingesetzt werden können, wie die Anwendung eines Zylinderampullensystems bei der Anästhesie, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Bei richtiger Pflege und Handhabung reduziert dies nicht nur den Praxisabfall, sondern ist oft auch kosteneffizienter, da sich die Anschaffungskosten über die Zeit amortisieren.

Traditionelle Füllmaterialien wie Amalgam sind nicht nur umweltbelastend, sondern können bekanntermaßen auch gesundheitliche Risiken bergen. Biokompatible Materialien wie Komposit oder Keramik sind hier die nachhaltige Alternative. Diese Materialien sind nicht nur umweltfreundlicher, sondern bieten auch eine weitaus bessere Ästhetik und Verträglichkeit.

Ähnliches gilt auch beim Thema Implantate: Keramikimplantate werden als biokompatibler eingeschätzt als herkömmliche Metallimplantate. Sie lösen kaum allergische Reaktionen oder Unverträglichkeiten aus und besitzen eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Dies kann für den Patienten geringere Temperatursensibilitäten bedeuten. Zudem neigen Keramikimplantate weniger dazu, Plaque anzusammeln, was das Risiko von oralen Infektionen verringert. Auch sind keine Wechselwirkungen mit anderen Metallen von bestehendem Zahnersatz bekannt. Keramikimplantate weisen außerdem durch ihre hohe Affinität zum Weich-, Binde- und Knochengewebe eine außerordentliche Stabilität und Osseointegration auf. Die Ausformung des Weichgewebes um das Implantat kann dadurch optimal verlaufen.

Statt Papier- oder Plastikservietten können Stoffhandtücher aus Baumwolle oder zumindest aus Recyclingpapier verwendet werden. Plastik-Dappengläser und Mundspülbecher lassen sich durch Varianten aus Glas, Edelstahl oder nachwachsenden Rohstoffen ersetzen.

Wenn Einwegartikel unvermeidlich sind, sollten biologisch abbaubare Alternativen wie Applikationsstäbchen und Zungenschaber aus Weizen-Kunststoff-Gemisch oder Speichelzieher in Schneckenform aus Zuckerrohr verwendet werden. Handschuhe aus Bio-Nitril sowie Aufsätze und Schutzhüllen aus Bio-Kunststoff belasten die Umwelt ebenfalls weniger als klassische Einwegartikel.

Nachhaltigkeit außerhalb des Behandlungszimmers

Natürlich können auch in anderen Bereichen nachhaltige Veränderungen vorgenommen werden. Abgesehen von der kompletten Digitalisierung kann bspw. als Drucker- und Rechnungspapier, bei Visitenkarten und Flyern Gras- oder Recyclingpapier genommen werden. Es gibt Toner für den Drucker aus Soja-Patronen bzw. Füllung oder Bürohelfer wie Mappen, Locher oder Tacker aus nachhaltigen Materialien. Bei der Belohnung für die kleinen Patienten hat Holzspielzeug tolle Effekte. Im Wartezimmer oder in den Sozialräumen können Plastikflaschen und Kapselkaffeemaschinen durch Glasflaschen und Maschinen mit Mahlwerk ersetzt werden.

Hygiene

Für die Langlebigkeit der Praxiskleidung sollte auf qualitativ hochwertige und bügelfreie Kleidung gesetzt werden. Beim Waschen kann auf konventionelles Waschpulver verzichtet werden, wenn die Wäsche bei 95 °C gewaschen wird und regelmäßig ein Läppchentest, d. h. eine mikrobiologische Untersuchung des desinfizierenden Waschverfahrens, durchgeführt wird. Für die Reinigung der Böden in der gesamten Praxis können nachhaltige Reinigungsmittel mit natürlicheren Inhaltsstoffen herangezogen werden.

Bio-Prophylaxe und alternative Therapieansätze

Die Prophylaxe ist geradezu prädestiniert für den Einsatz natürlicher Produkte und Methoden, nicht nur um die Folgen für die Umwelt abzuschwächen, sondern auch um die Bioverträglichkeit der Behandlung und damit die Allgemeingesundheit des Patienten zu fördern. Hierzu eignen sich besonders Therapiemöglichkeiten mit Ozon, Laser oder Sauerstoff und Aromatogramme mit ätherischen Ölen. Während die Dentalindustrie bereits damit begonnen hat, eine Vielzahl an nachhaltigeren Produkten anzubieten, können auch selbst hergestellte Mittel in der häuslichen Mundpflege eine sinnvolle Ergänzung sein.

Eine selbst gemachte Zahnpasta aus natürlichen Inhaltsstoffen wie Kokosöl, Xylit, Heilkreide (Mineralien), Natron oder ätherischen Ölen ist nicht nur nachhaltig, sondern auch effektiv. Im Vergleich zu herkömmlichen Zahnpasten, die in der Regel Natriumlaurylsulfat, Tenside, Parabene, Mikroplastik und andere fragliche Inhaltsstoffe enthalten, bietet die natürliche Variante eine chemiefreie Alternative.

Kokosöl hat antibakterielle Eigenschaften, während Natron den pH-Wert neutralisiert und basisch wirkt und zusätzlich auch als natürliches Schleifmittel dient, das die Beläge entfernt. Xylit (Birkenzucker) hemmt den Bakterienstoffwechsel, reduziert dadurch die Säureproduktion der Kariesbakterien und regt die Speichelproduktion an.

Zu einer antibakteriellen, antiviralen und fungiziden Wirkung tragen unterschiedlichste ätherische Öle bei. Mineralstoffe unterstützen eine natürliche Remineralisierung. Genauso gut kann die Praxis auf bereits gebrauchsfertige natürliche und biologische Zahnputzprodukte wie Zahnputztabs, -pulver oder -öle zurückgreifen. Diese sind durch den niedrigen Relative-dentin-abrasivity(RDA)-Wert schonend zu den Zähnen und bieten zusätzlich meist eine nachhaltige Verpackung aus Glas, Papier oder nachwachsenden Rohstoffen.

Auch für Mundspülungen lassen sich perfekt natürliche Inhaltsstoffe wie Teebaumöl einsetzen. Im Vergleich zu herkömmlichen Mundspülungen, die Alkohol und künstliche Konservierungs- und Farbstoffe enthalten können, ist Teebaumöl eine natürliche und sehr wirkungsvolle Option und kann sehr vielseitig bei Erkrankungen der Schleimhäute eingesetzt werden. Aber auch Bestandteile wie Salbei, Rathania, Rhabarberwurzelextrakt, Calendula oder Aloe vera desinfizieren, pflegen und fördern ein gesundes Zahnfleisch, ohne die Mundflora zu stören.

Das Ölziehen ist eine alte ayurvedische Methode zur Hemmung und Entfernung oraler Keime und fördert dabei noch die allgemeine Gesundheit. Es erfordert lediglich ein hochwertiges Bio-Pflanzenöl wie z. B. Sesam- oder Kokosöl. Bei Zahnfleischerkrankungen oder in der Parodontitisbehandlung wird das Öl für etwa 15-20 min im Mund hin- und herbewegt und durch die Zähne gezogen, bevor es ausgespuckt wird. Dieser Prozess bindet Bakterien und Toxine im Öl, die dann sicher aus dem Mundraum entfernt werden. Bei Mundtrockenheit oder begleitend zu einer Chemotherapie eignen sich Weizenkeimöl oder Sanddornfruchtfleischöl mit vielen Nährstoffen, die die Schleimhäute zusätzlich aufbauen und die Regeneration unterstützen. Hierbei ist eine kürzere, aber häufigere Anwendung sinnvoll. In der Prophylaxe in der Praxis kann Ölziehen zur Verbesserung der Mundhygiene beitragen und Zahnfleischentzündungen vorbeugen.

Trockene und rissige Lippen können nicht nur unangenehm sein, sondern auch die Anfälligkeit für Infektionen erhöhen. Ein selbst gemachtes Lippenpflegemittel aus Bienenwachs, Kokosöl und ätherischen Ölen kann Abhilfe schaffen. Die natürlichen Inhaltsstoffe bieten Feuchtigkeit und Schutz, ohne die Lippen mit künstlichen Chemikalien zu belasten oder auszutrocknen und so den natürlichen Schutzfilm zu schädigen. In der Prophylaxe sollten wir die Lippenpflege stets mit im Blick haben, da sie die Mundgesundheit als Ganzes unterstützt.

Vervollständigt werden kann die Zahnpflege mit Zahnseide, Handzahnbürsten oder Aufsätzen für Schallzahnbürsten, aber auch Interdentalraumbürsten oder Zungenschabern aus natürlichen Materialien, z. B. aus Maisstärke, Bambus, Naturseide, Miswak oder recyceltem Plastik ohne Verpackung oder mit nachhaltigen Verpackungen.

Patientenreaktionen

Patienten reagieren in der Regel positiv auf nachhaltige und natürliche Behandlungsmaßnahmen und Produkte. Sie schätzen es, wenn sie in den Prozess einbezogen werden und ihre eigenen Beiträge leisten können. Dies kann in der heutigen Zeit auch ein entscheidender Faktor bei der Wahl einer Zahnarztpraxis sein.

Fazit

Wer dem Trend der Nachhaltigkeit folgt, schlägt also mehrere Fliegen mit einer Klappe: Durch die bewusste Auswahl von Materialien und Methoden kann die Praxis einen wertvollen Beitrag zu Umweltschutz und Gesunderhaltung ihrer Patienten leisten. Gleichzeitig können eine Umstellung auf „echt“ nachhaltige Prozesse und Materialien und deren transparente Kommunikation, etwa durch Zertifizierungen, z. B. „Grüne Praxis“, das Praxismarketing positiv unterstützen.

Beitrag, erschienen in Wir in der Praxis 06/23