Lifestyle: Riskante Gewohnheiten für die Mundgesundheit

In der Praxis begegnen uns immer häufiger nicht nur die altbekannten Krankheitsbilder, sondern auch Veränderungen im Mundraum, die Folgen diverser Lifestyle-Trends sind. Oftmals kommen die betroffenen Patienten mit Schleimhautveränderungen oder einem erhöhten Karies- und Parodontitisrisiko zu uns.

Lifestyle Zahnmedizin
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Body-Modifikationen

Sogenannte Body-Modifikationen wie Piercings sind in den letzten Jahren immer alltäglicher geworden. Piercings in Zunge, Lippe, Wange oder Lippenbändchen sind mittlerweile weitverbreitet. Sie bringen nicht nur ein hohes Infektionsrisiko durch Mikroverletzungen und oftmals irreparable Schädigungen der Nervenbahnen mit sich, sondern können vor allem auch Schäden am Zahnschmelz verursachen und rufen dadurch mehr Verfärbungen, Reizungen des Zahnnervs und Temperaturempfindlichkeiten hervor. Auch der Zahnersatz kann in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus kann es zu Mundgeruch kommen. Kontaktallergien, Zahnfleischrezessionen und freiliegende Zahnhälse sind weitere Beschwerden, die sich häufig durch die Piercings einstellen. In der Praxis können wir die Patienten im Rahmen der Prophylaxe vor allem mit Pflegehinweisen und Aufklärungsgesprächen unterstützen.

Medikamente, legale und harte Drogen

Schätzungen zufolge sind allein in Deutschland bis zu 2 Mio. Menschen abhängig von Medikamenten. In 70 % der Fälle handelt es sich dabei um Schlafund Beruhigungsmittel – sogenannte „Z-Drugs“. Aber auch Schmerzmittel haben ein sehr hohes Suchtpotenzial.

Oftmals kommen bereits Jugendliche mit Medikamenten in Berührung, die zu einer Abhängigkeit führen können. Derzeit sind es vor allem das Stimulans Ritalin und das Opioid Tilidin, die besonders von jungen Menschen als Drogen missbraucht werden, um mehr Leistungsfähigkeit oder einen euphorischen Gemütszustand zu erlangen.

Patienten, die harte Drogen wie Crystal Meth oder Kokain konsumieren, werden oft direkt in der Zahnklinik behandelt. Die Folgen von legalen Drogen wie Tabak und Alkohol begegnen uns dafür in der Praxis umso häufiger. Besonders der Tabakkonsum in Form der herkömmlichen Zigarette, aber auch Modeerscheinungen wie Snus, E-Zigaretten oder Shisha hinterlassen ihre Spuren im Mundraum.

Zigaretten, Alkohol und Energydrinks

Nikotin bewirkt eine schlechtere Durchblutung, weshalb die Versorgung des Gewebes mit Nährstoffen und Antioxidanzien leidet. Schadstoffe lagern sich stärker ab, die Entzündungsneigung erhöht sich und Wunden heilen schlechter ab. Die Mundtrockenheit nimmt zu und die Gefahr einer Parodontitis, von Karies oder Mundtrockenheit steigt.

Alkohol als beliebte legale Droge löst bei häufigem Konsum ebenfalls diverse orale Veränderungen aus. Es kommt häufig zu einer Störung der Speichelsekretion und zu einer veränderten Zusammensetzung des Speichels. Gleichzeitig ist die Bildung der Pellikel (Zahnoberhäutchen) gestört. Zusammen mit dem Säuregehalt der Spirituosen und der Magensäure führt dies zu Erosionen am Zahnschmelz. Darüber hinaus stellt sich oftmals ein Nährstoffmangel ein, denn der Alkohol greift die Darmschleimhaut an und verdrängt die Nahrung. Dieser Mangel zeigt sich ebenfalls in Veränderungen von Mundschleimhaut, Zunge und Lippen.

Je nach Lebensstil ergeben sich verschiedene Erscheinungsbilder, weshalb der Patient als Individuum gesehen werden sollte. Die Gewohnheiten sollten behutsam und rücksichtsvoll angesprochen werden. Empathie ist wichtig, um ein gutes Vertrauensverhältnis zu schaffen und eine optimale Lösung zu erreichen.

Franziska Grasegger, DH

Auch Energydrinks gehören durch ihre kurzfristig aufputschende Wirkung zu den legalen Drogen. Sie stellen aber nicht nur wegen ihres muntermachenden Effekts, sondern auch wegen des enthaltenen Zuckers eine Suchtgefahr dar. Da Energydrinks nicht unter das Betäubungsmitteloder Jugendschutzgesetz fallen, werden sie häufig auch schon von Jugendlichen in großen Mengen konsumiert. Säure und Zucker in den Getränken rufen nicht selten Erosionen, Karies, White Spots und Überempfindlichkeiten hervor.

Essstörungen

Ein weiteres Problem, das vor allem junge Mädchen und Frauen betrifft, sind Essstörungen. Sowohl die Anorexia nervosa als auch die Bulimia nervosa beeinträchtigen die Mundgesundheit. Im Fall der Bulimie sind es die immer wieder hervorgebrachte Magensäure und die enthaltenen Verdauungsenzyme, die Erosionen an den Innenseiten der Oberkieferzähne verursachen. Das führt zu einer gesteigerten Empfindlichkeit der Zähne. An den Schneidekanten der Front- und Eckzähne bilden sich Mulden und Zacken, die sich auf lange Sicht immer stärker ausdehnen. Sowohl bulimische als auch anorektische Patienten leiden außerdem häufig unter Mangelerscheinungen und Störungen des Elektrolythaushalts, die sich negativ auf die Zellprozesse und damit auch auf die gesamte orale Situation auswirken.

Ernährungstrends

Aber auch Menschen mit einem vermeintlich gesunden Lifestyle können Beschwerden entwickeln. Die Rede ist hier beispielsweise von schlecht informierten Veganern oder Vegetariern, die in ihrer Ernährung viele Dinge weglassen, aber nicht supplementieren. Sie leiden häufig unter einem Nährstoffmangel (v. a. Vitamin B und B12) und an Anämien, die Schädigungen im Mundraum nach sich ziehen können.

Risikopatienten in der Prophylaxe

Um die oben genannten Risikopatienten zu identifizieren und frühzeitig auf orale Veränderungen reagieren zu können, sollten wir in der Prophylaxe den Fokus auf die orale Inspektion legen. Dabei gilt es, die Anamnese zu überprüfen und den sozioökonomischen Status zu berücksichtigen. Aufschluss über den Patienten gibt uns in der Regel bereits das äußere Erscheinungsbild. Hier können wir auf Statur, Bewegungsabläufe, Hautveränderungen oder auch Gerüche achten. Die Veränderungen im Mund verraten uns dann oft genauer, um welche Problematik es sich handeln könnte. Wichtig ist, bei der Behandlung immer den Infektionsschutz im Auge zu behalten. Insbesondere drogenabhängige Patienten können an einer HIV-Infektion, an AIDS und/oder Hepatitis B und C erkrankt sein.

„Der Mensch ist ein Gewohnheitstier“. Die ein oder andere „schlechte“ Gewohnheit ist uns selbst oft gar nicht bewusst. Für andere aber sehr störend oder gar Nervig. Wichtig ist das solche Themen immer zügig, direkt aber in keinem fall herablassend angesprochen werden. Kommunikation ist der Schlüssel. Nur so lässt sich eine Situation ändern und ein harmonisches Gemeinschafts Gefühl in der Praxis.

Anne Bastek, DH

Therapieansätze

Eine intensive Betreuung und engmaschige Behandlung der Risikopatienten sind besonders wichtig. Es stehen u. a. verschiedene Therapieformen zur Verfügung, mit denen das Zahnmaterial wiederhergestellt werden kann. Hier können wir vorrangig mit Fluoriden und antibakteriellen Lösungen arbeiten. Leiden die Patienten unter Mundtrockenheit, benötigen wir Ansätze, um die natürliche Schutzbarriere des Speichels wiederaufzubauen. Fast jeder der erwähnten Patienten leidet unter einem Nährstoffmangel aufgrund einer zu geringen Zufuhr von Nährstoffen oder einer Schädigung der Darmschleimhaut. Daher ist eine Analyse des Mikronährstoffhaushalts zweckmäßig, um herauszufinden, ob eine Supplementierung sinnvoll ist.

Die größte Herausforderung ist es, die Risikopatienten zu identifizieren. Ein Piercing zum Beispiel ist ersichtlich, aber andere riskante Gewohnheiten weniger. Wie kann das uns gelingen? Empathie und Feingefühl ist hier unabdinglich. Für eine patientenorientierte Beratung benötigen wir in jeden Fall den Smalltalk, eine gründliche Anamneseerhebung und eine ausführliche Beurteilung im und um den Mundbereich. Das sollte in jedem Prophylaxekonzept das Fundament für eine qualitativ hochwertige Beratung sein, mit dem Ziel Patienten bestmöglich.

Stefanie Kurzschenkel, Referentin, Coach und Praxismanagerin

Fazit

Egal, aus welchen Gründen der Patient als Risikopatient einzustufen ist – es ist enorm wichtig, ihm immer mit Respekt und wertungsfrei entgegenzutreten. Unsere Aufgabe in der individuellen Prophylaxe ist es, dem Patienten mittels Mundhygieneunterweisungen und Beratung den Weg zu einer besseren Mundgesundheit aufzuzeigen. Je mehr wir über die verschiedenen Zusammenhänge wissen, desto eher können wir adäquate und vor allem geeignete Mittel finden, um ihn zu unterstützen.

Beitrag, erschienen in Wir in der Praxis 05/22